Die Geschichte des Vereins Phoenix dokumentiert die Vielschichtigkeit der Sexarbeit. Über die Jahre ist ein breites zielgruppenspezifisches Beratungsangebot entstanden. Mit der Intention, Prostituierten bei deren Fragestellungen Unterstützung anzubieten, insbesondere im Hinblick auf HIV/Aids, fanden sich im August 1987 ehemalige Prostituierte und engagierte Personen aus unterschiedlichen Berufsgruppen zusammen. Zudem sollte der gesellschaftlichen Diskriminierung von Prostituierten entgegengewirkt werden. Das Ergebnis der Diskussionen, Visionen und Planungen war die Gründung des Vereins Phoenix im Jahr 1988.
Die operative Umsetzung des Vereinsziels begann im Juni 1989 mit der Einrichtung des gleichnamigen Projektes Phoenix, der heutigen Fachberatungsstelle für Sexarbeitende. Die Beratungsstelle war und ist bis heute die erste und einzige Nichtregierungsorganisation für Sexarbeitende, die niedersachsenweit tätig ist. Das Projekt Phoenix wendete sich zu Beginn an jugendliche, drogengebrauchende, deutsche und migrierte Sexarbeitende, an deren Partner*innen, Angehörige sowie an Kund*innen. Die Arbeit umfasst bis heute HIV/Aids und STI-Prävention, gesundheitliche Aufklärung, Beratung, Begleitung und konkrete lebenspraktische Hilfen. Daneben werden im Rahmen der aufsuchenden Präventionsarbeit Kontakte zu Sexarbeitenden an allen Orten, wo der Sexarbeit nachgegangen wird, geknüpft.
Im Laufe der Zeit und mit wachsender Erfahrung zeigte sich, dass die Lebensumstände und Bedarfe von drogengebrauchenden Frauen* ein besonderes Angebot erfordern. Darauf reagierte der Verein im Jahr 1993 mit der Gründung des Projekts La Strada, der heutigen Anlauf- und Fachberatungsstelle für drogengebrauchende Frauen*. Zielsetzung war und ist es, drogengebrauchenden Frauen*, die der Sexarbeit nachgehen oder von Gewalt bedroht sind, einen geschützten Raum zu bieten und sie in ihrer jeweiligen Lebenssituation zu unterstützen. Das niedrigschwellige Angebot beinhaltet unter anderem existentielle Grundversorgung, Versorgung mit sterilen Konsumutensilien und Safer Work Materialien (z.B. Kondome) sowie Information und Krisenintervention. Weiterhin umfasst das Angebot Beratung, psychosoziale Begleitung im Rahmen der Opioidsubstitution und Therapievermittlung.
Die veränderte politische Lage in Europa mit der Grenzöffnung nach Osten, führte zu einem Anstieg osteuropäischer Sexarbeitender in Niedersachsen und speziell in Hannover. Um diesem Personenkreis adäquate Unterstützung anzubieten, wurde 1994 der »Schwerpunkt Osteuropa« an die Fachberatungsstelle für Sexarbeitende mit einer Personalstelle angegliedert. Die damals eingestellte Mitarbeiterin, die für den Verein bis zum Eintritt in den Ruhestand tätig war, sprach polnisch sowie russisch und verfügte über fundierte Kenntnisse der Kultur und Gesellschaft beider Länder sowie über die entsprechende Sensibilität, um der Zielgruppe adäquat zu begegnen.
Die steigende Anzahl Betroffener von sexueller Ausbeutung unter Ausnutzung einer Zwangslage und die damit verbundenen steigenden Beratungsanfragen zu diesem Thema führten zu der Konzeptionierung der Koordinierungs- und Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel KOBRA, die im Jahr 1997 als weiteres Projekt von Phoenix e.V. die Arbeit aufnahm. Das Projekt KOBRA wurde zum Jahresende 2017 im Verein Phoenix zum Ruhen gebracht und hat sich als eigenständiger Verein ausgegründet.
Aufsuchende Arbeit ist von Beginn an ein zentraler, methodischer Ansatz der fachlichen Arbeit im Verein Phoenix. Die kontinuierliche Weiterentwicklung der aufsuchenden Arbeit mit der notwendigen Präsenz „vor Ort“ führte im Jahr 2005 zur Gründung des Projektes Nachtschicht – Beratung und aufsuchende Arbeit am Straßenstrich Hannover, als weiteren Arbeitsschwerpunkt. Die Arbeit begann unter schwierigen Bedingungen in einem umgenutzten Baucontainer in der Herschelstraße / Ecke Brüderstraße. Im Jahr 2009 konnte das „Café Nachtschicht“ in einem ehemaligen Kiosk in der Brüderstraße eröffnet werden und ersetzt seitdem den Beratungscontainer. Ein besonderes Merkmal des niedrigschwelligen Angebotes „Café Nachtschicht“ ist nach wie vor die Kooperation von Phoenix e.V. mit dem Team Prävention und Gesundheitsförderung / Fachbereich Gesundheitsmanagement der Region Hannover, welche ein breites Angebotsspektrum ermöglicht.
Die Veränderungen der gesetzlichen Bestimmungen durch das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) im Jahr 2017 haben die Beratungsnachfrage von Sexarbeitenden aus ganz Niedersachsen beim Projekt Phoenix erhöht. Um der Nachfrage gerecht zu werden, wurde im Jahr 2019 das Modellprojekt »Stärkung der Integration von migrierten Sexarbeiter*innen in Niedersachsen durch aufsuchende Präventionsarbeit« konzipiert und endete nach erfolgreicher Umsetzung am 31.12.2022.